Teuerung zwingt Eltern, bei Bildungsausgaben zu sparen
Angesichts der massiven Teuerung in vielen Lebensbereichen hat die Arbeiterkammer Eltern vom IFES-Institut befragen lassen, wie sie die hohe Inflation erleben und wie sich diese auf ihre Kinder auswirkt. Die schockierende Erkenntnis ist, dass sich die Teuerung bereits jetzt auf die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen an Bildungsangeboten auswirkt. Nach den Pandemie-Jahren mit vielen Einschränkungen für Kinder und Jugendliche darf es nicht zu weiteren erzwungenen Einsparungen kommen, die die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gefährden.
Familien spüren Teuerung deutlich
Für den Schulerfolg ist bekanntermaßen entscheidend, ob die Eltern über ausreichend Zeit, Geld und Bildung verfügen, um ihre Kinder zu unterstützen und zu begleiten. Der Schulerfolg ist damit in einem hohen Maß privatisiert. Dieser bildungspolitische Systemfehler trifft nun auf eine immense Teuerungswelle – mit drastischen Auswirkungen für die Kinder.
Die Teuerung ist bei den Familien längst angekommen. 93 Prozent spüren die Auswirkungen der Teuerung, davon 61 sehr deutlich. Bereits vor der besonders belastenden Heizsaison planen Familien mit niedrigen Haushaltseinkommen massive Einsparungen, um die Grundausgaben weiter bezahlen zu können. Denn fast jede fünfte Familie befürchtet, dass sie ihre Wohnung nicht angemessen warmhalten werden kann. Jede dritte Familie gibt an, dass ihr durch die Teuerung weniger Geld für schulische Ausgaben zur Verfügung steht. Damit wird erstmals klar, in welchem Ausmaß die Teuerung die Bildungsteilhabe von Kindern und Jugendlichen einschränken könnte.
Teuerung gefährdet Bildungsteilhabe
Bereits jetzt sind in Österreich 368.000 Kinder und Jugendliche (23%) armuts- und ausgrenzungsgefährdet: das ist mehr als jedes fünfte Kind. Die Teuerung verschärft diese Situation weiter. Während der Großteil der Familien (noch) überzeugt ist, Heizkosten und die Grundversorgung der Familie bezahlen zu können, sieht es bei Freizeitgestaltung und Bildungsteilhabe anders aus.
Eltern erwarten im kommenden Schuljahr in fast allen Bereichen Kostensteigerungen bzw. höheren finanziellen Aufwand, das heißt auch für allgemein notwendige Aufwendungen wie Schulmaterial oder Essensgeld etc. So wird bspw. für die Hälfte aller Schüler:innen in Österreich ein Anstieg des schulischen Essensgeldes erwartet. Eltern glauben insbesondere auch, dass für Schulveranstaltungen wie Ausflüge ein größerer finanzieller Aufwand entstehen wird: Für fast zwei Drittel der Schüler:innen werden hier höhere Kosten erwartet.
Der Kostenanstieg führt dazu, dass sich viele Familien einen Teil der Ausgaben für Bildung nicht mehr leisten können. Hier werden zwei Bereiche von Bildungsausgaben unterschieden: Ausgaben, die Voraussetzung für die Teilnahme an der Schule sind, etwa die Bezahlung von Schulsachen.
Jede zehnte Familie sieht sich aus heutiger Sicht nicht mehr in der Lage, die nötigsten Materialien zu stemmen.
Der zweite Bereich umschließt die weiteren Bildungsausgaben, also Ausgaben für die Bildungsteilhabe und -förderung der Kinder, etwa Nachhilfe oder der Besuch einer Musikschule, machen deutlich mehr Familien Sorgen.
Jede vierte Familie rechnet damit, diese Bildungsausgaben nicht mehr stemmen zu können. AK Präsidentin Renate Anderl findet klare Worte: „Die aktuellen Teuerungen in vielen Bereichen machen Eltern und Kindern das Leben zusätzlich schwer. Wenn Laptops, gute Stifte oder die Ausflüge der Kinder nicht mehr leistbar sind, fehlen all die Dinge, die Schule erleichtern und einfach Spaß machen. Immer mehr Eltern können Ganztagesbetreuung nicht bezahlen – das hat auf Sicht natürlich Folgen für ihre Arbeitsverhältnisse.“
Familien müssen bei Bildung und Freizeit einsparen
Eltern verneinen mehrheitlich, die steigenden Kosten vollständig tragen zu können und müssen daher voraussichtlich in etlichen Bereichen einsparen. Sie planen bereits heute konkret bei Gastronomie (40%), Energie (34%), Treibstoff bzw. Tanken (31%), bei Urlaub und Freizeit (26-28%) zu sparen. Aber auch im Bereich der Bildungsbeteiligung der Kinder und Jugendlichen besteht für viele Sparzwang. Jede vierte Familie kann sich die Kosten für EDV voraussichtlich nicht mehr leisten, ähnlich viele planen Einsparungen bei Nachhilfe sowie kultureller Beteiligung.
Auch bei Schulmaterialien, Schulgebühren und Schulausflügen sehen sich 12-14 Prozent der Eltern nicht im Stande, diese im kommenden Schuljahr zu finanzieren. Mehr als jede fünfte Familie (22%), deren Kind eine Form der Ganztagesbetreuung besucht, gibt an, sich diese nicht mehr leisten zu können. Eine Folge daraus wird sein, dass Eltern etwa bei Nachhilfe wieder selbst in die Bresche springen müssen, was in der Praxis v.a. Frauen betrifft. Diese zusätzliche Belastung, die schon in der Pandemie nicht nur Kinder, sondern auch Eltern getroffen hat, wird durch die Teuerung nochmal verschärft und trifft abermals die ohnehin finanziell und sozial Benachteiligten am härtesten.
Die Teuerung wird damit deutliche Auswirkungen auf die Bildungsteilhabe von Kindern und Jugendlichen und in weiterer Folge auf ihre Chancen für eine unbeschwerte Kindheit haben. Viele Kinder und Jugendliche werden weniger an schulischen und außerschulischen Angeboten teilnehmen können. Ihre Interessen und Stärken können damit abhängig von den finanziellen Möglichkeiten ihrer Eltern weniger gefördert werden. Aber auch ihre Betreuung am Nachmittag ist im kommenden Schuljahr nicht uneingeschränkt sichergestellt.
Armutsgefährdung bei Kindern von Alleinerziehenden
Besonders dramatisch ist die Situation von Alleinerzieher:innen. Wenn eine Familie nur einen Elternteil hat und dieser die Kosten allein stemmen muss, führt das allgemein zu massiver Armutsgefährdung der Kinder. Die aktuelle Teuerung wirkt sich dabei deutlich auf die Bildungsteilhabe dieser Kinder und Jugendlichen aus. Der Großteil der Alleinerziehenden muss aufgrund der steigenden Preise bei Energie, Mobilität und Lebensmitteln sowie Schulausgaben einsparen.
Hinzukommt, dass sich 39 Prozent der Alleinerziehenden die Nachmittagsbetreuung für ihr Kind nicht mehr leisten können. Das bringt weitere Probleme mit sich: Wenn es keine Personen aus Familie oder Freundeskreis gibt, die die Betreuung übernehmen können, können Alleinerziehende keine Vollzeittätigkeit mehr ausüben und verdienen somit (noch) weniger.
Anderl sieht hier dringenden Handlungsbedarf: „Ob Kind einer alleinerziehenden Handelsangestellten oder eines gutverdienenden Architektenpaares muss in unserem reichen Land völlig egal sein. Alle Kinder haben gleich große Potenziale in sich. Eine Gesellschaft, die das liegen lässt, die Bildungsmöglichkeiten vom Geld abhängig macht, ist ungerecht, zukunftsvergessen und verzichtet bewusst auf Talente.“
Mehr arbeiten, weniger Freizeit und Mobilität
Viele Eltern machen sich bereits jetzt Gedanken, wo sie einsparen und ihre Familie finanziell absichern können. Neben Konsum und Mobilität treffen die Einsparungen auch ganz unmittelbar die Möglichkeiten von Kindern und Jugendlichen.
Um der Teuerung entgegenzusteuern, geben Eltern als sicher oder eher an, mehr Stunden zu arbeiten (45 %) sowie Ferien- oder Freizeitaktivitäten für das Kind (34-35 %) eventuell zu reduzieren. Wo zumindest ein Kind in der Oberstufe (AHS/BHS) ist, zieht sogar mehr als ein Drittel in Betracht, dass das Kind neben der Schule etwas dazuverdienen könnte.
Jugendliche werden damit vielfach von der Teuerung belastet, sie werden Einsparungen noch deutlicher spüren, weniger an Bildungs- und Freizeitangeboten teilhaben können und oftmals auch neben ihrer Schule zu arbeiten beginnen, um das Familienbudget aufzubessern. Vermutlich wird sich das Arbeiten, ähnlich wie bei Studierenden, ab einer bestimmten Stundenzahl negativ auf Lernerfolg auswirken. Jugendliche und Präventionsmaßnahmen für diese müssen daher zur politischen Priorität erklärt werden, denn sie wurden bereits während der Pandemie allzu oft übersehen und überhört.
Renate Anderl warnt: „Familien machen sich große Sorgen, wie sie die kommenden Monate das Notwendigste bezahlen können, daher planen Familien bei Kosten für die Nachhilfe, Nachmittagsbetreuung und Freizeitaktivitäten einzusparen.“
Politik gefordert, Bildung in Zeiten der Teuerung abzusichern
Sieben von zehn der Befragten fühlen sich als Eltern von der Politik im Stich gelassen. Sie vertrauen nicht darauf, dass die Politik Rahmenbedingungen schafft, damit ihre Kinder und Jugendlichen gut durch dieses Schuljahr kommen können. In einer Demokratie ist das ein alarmierender Wert. Die Bundesregierung ist aufgefordert, das Vertrauen wieder herzustellen, Maßnahmen für Familien zu setzen und Kinder und Jugendliche vor Armut zu schützen.
Während der 2,5 Jahre Pandemie und Phasen des Homeschoolings waren viele Bereiche, die die Entwicklung und Bildung von Kindern und Jugendlichen fördern, massiv eingeschränkt. Wenn die Bundesregierung hier nur zusieht, wird es viel zu viele Kinder und Jugendliche geben, die aufgrund von Pandemie und Teuerung komplett um diese Bildungsteilhabe gebracht werden. Ein weiterer Anstieg der bereits sehr hohen psychischen Belastung der Kinder und Jugendlichen ist zu befürchten.
Für AK Präsidentin Anderl ist klar, dass es so nicht bleiben darf. „Wenn alle Kinder gleiche Chancen haben sollen, dann brauchen unsere Schulen einen massiven Gerechtigkeitsschub. Es darf nicht sein, dass Kinder von Eltern mit schmalen Geldbörsen von vielen Dingen im Schulleben ausgeschlossen werden. Und es darf nicht sein, dass Eltern sich für die Bildung ihrer Kinder in Schulden stürzen müssen.“
Unsere Forderungen
Die Arbeiterkammer fordert: Kinder und Jugendliche brauchen unmittelbar die Sicherheit, an Bildungsangeboten teilhaben zu können:
- Schulkosten in Zeiten der Teuerung sofort drastisch reduzieren: Es braucht ein Budget für Schulmaterialien, das Lehrerinnen und Lehrer unbürokratisch verwenden können nach dem Vorbild des Zweckzuschusses für Pflichtschulen (ehemals Wiener Warenkorb), um Kinder und Jugendliche mit allen notwendigen Materialien wie Hefte, Bleistifte, Zeichenpapier oder Ähnliches auszustatten.
- Ganztagesbetreuung absichern: Es braucht zusätzliche Budgets und unbürokratische Förderungen für Gemeinden, damit sichergestellt wird, dass kein Kind aus finanziellen Gründen von der Ganztagesbetreuung abgemeldet wird.
Dafür müssen auch die Voraussetzungen für die Befreiung/Ermäßigung von Elternbeiträgen in Kinderbildungseinrichtungen und Nachmittagsbetreuung von Gemeinden bzw. Bundesländern angepasst werden. Viele Familien mit niedrigen Haushaltseinkommen bekommen keine Ermäßigung und haben große Schwierigkeiten, die Beiträge für Essen und Betreuung im kommenden Schuljahr zu bezahlen. - Teilhabe in der Freizeit sicherstellen: Es braucht niederschwellige Fördertöpfe, um im Bereich der Freizeitförderung Teilhabe von Kindern und Jugendlichen sicherzustellen.
- Entlastungen für armutsgefährdete Familien und Alleinerziehende: Sie trifft die Teuerung in besonderem Ausmaß. Die Arbeiterkammer fordert die Bundesregierung auf, ein Entlastungspaket (Anhebung Arbeitslosengeld und Sozialhilfe; Unterhaltsgarantie) sowie spezifische Unterstützungsangebote (z.B. Ferien- und Lerncamps) zu schaffen. Dabei ist auch eine weitere Anhebung und Ausweitung der Schüler:innenbeihilfe unerlässlich.
Mittelfristig müssen Schulen so ausgestattet werden, dass es für den Schulerfolg egal ist, ob Eltern Geld haben oder nicht:
- Treffsicher investieren und Schulentwicklung ermöglichen – Schulfinanzierung nach dem AK-Chancen-Index für alle Schulen: Konkret braucht es für treffsichere langfristige Investitionen – vor allem in Personal- und Schulentwicklung – eine Schulfinanzierung nach dem AK-Chancen-Index aller Schulen. So bekommen Schulen umso mehr Mittel, je mehr Schüler:innen mit Unterstützungsbedarf sie haben. Das entlastet nicht nur Schüler:innen sondern auch die Eltern, die sonst einspringen müssten.
- Lernräume für alle eröffnen, beitragsfreie hochwertige Ganztagsschulen flächendeckend anbieten: Notwendig sind Schulen, in denen Lehrer:innen mehr Raum und Zeit zum Üben mit ihren Schüler:innen bekommen. Langfristige Investitionen in den Ausbau von Ganztagsschulen fördern die Lernchancen der Kinder und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und schaffen somit Arbeitsplätze.
Daten zur Studie
Repräsentative Befragung des IFES-Institut, Projektleitung: Dr. Julian Aichholzer, Dr.in Eva Zeglovits, Erhebungszeitraum: Juli und August 2022, 809 Haushalte mit 1387 Schüler:innen, telefonische und Online-Interviews (CATI und CAWI), Grundgesamtheit Haushalte mit Schulkindern (ausgenommen Berufsschulen, Akademien, Schulen im Gesundheitswesen)
Kontakt
Kontakt
Pressestelle der AK Wien und der Bundesarbeitskammer
Tel. : +43 1 50165 12565
Fax. : +43 1 50165 12209
E-Mail: presse@akwien.at
- nur für Journalist:innen -