Arbeitnehmer arbeitet mit Schutzmaske an Maschine © auremar, stock.adobe.com
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24.3.2021

Betrug darf sich nicht lohnen!

Die in diesen Tagen seitens der Arbeiterkammer Wien durchgeführten arbeitsrechtlichen Beratungen von ArbeitnehmerInnen bei Hygiene Austria zeigen eines ganz klar: Schwarzarbeit und Ausbeutung müssen wirksamer bekämpft werden. Vielen wurde viel zu wenig Lohn ausbezahlt, teils aufs Konto, teils auf die Hand, manche bekamen gar nichts. 


Leiharbeit bei Hygiene Austria 

„Selbst die auf den offiziellen Lohnzetteln ausgewiesene Entlohnung lag unter dem geltenden Kollektivvertrag. Und nicht einmal diese wurde tatsächlich ausbezahlt“, schildert Andrea Ebner-Pfeifer, Arbeitsrechtsexpertin in der AK Wien. „Solche Praktiken dürfen sich in Österreich nicht ausbreiten, die AK fordert den Gesetzgeber auf, rasch die Lücken in der Bekämpfung von Schwarzarbeit und Lohndumping zu schließen“, sagt AK Wien Direktor Christoph Klein.

Offensichtlich wurden in der Leiharbeit bei Hygiene Austria jene Praktiken angewandt, die in Teilen der Baubranche bei der Weitergabe von Aufträgen an unseriöse Sub-Auftragnehmer seit Jahren gang und gäbe sind: Eine (Leiharbeits)Firma wird mit der Bereitstellung von Arbeitskräften beauftragt, vergibt diesen Auftrag jedoch an Subunternehmen weiter. Diese wiederum haben meist wenig oder im schlimmsten Fall gar keine unternehmerische Substanz (klassische Scheinunternehmen). Einziger Zweck: Arbeitskräfte so billig wie möglich zur Verfügung zu stellen. Das heißt: kollektivvertragliche Regelungen der Bezahlung werden nicht eingehalten, sowie Steuern und Sozialabgaben hinterzogen. Die Unternehmen maximieren mit diesen Praktiken auf Kosten der betroffenen ArbeitnehmerInnen ihre Gewinne.

„Wir müssen verhindern, dass eine moderne Sklavengesellschaft entsteht. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehören ordentlich angestellt, korrekt sozialversichert und angemessen bezahlt“, sagt AK Wien Direktor Klein. Gleichzeitig schwächen solche Unternehmen alle Unternehmen, die sich an unsere Gesetze halten, und den gerade in der aktuellen Corona-Krise so wichtigen Sozialstaat, indem sie ihn um Steuern und Sozialabgaben prellen. Diese Einnahmen sind aber gerade jetzt von enormer Bedeutung, um das Gesundheitssystem aufrecht zu erhalten und die Kosten der Rekord-Arbeitslosigkeit und deren Bekämpfung zu finanzieren.     

Kumulationsprinzip 

Der österreichische Gesetzgeber hat über die Jahre einen Schutzwall gegen solche betrügerischen Machenschaften errichtet, der zu Verbesserungen der Situation geführt hat. Ein Teil dieses Schutzwalls ist das sogenannte Kumulationsprinzip. In der Praxis heißt das: Strafen wegen Lohndumping werden mit der Zahl der geschädigten ArbeitnehmerInnen multipliziert. Wer also 100 MitarbeiterInnen nicht korrekt entlohnt, erhält daher pro betroffenem/r Arbeitnehmer/in zumindest den Mindeststrafsatz, während der Kleinbetrieb, der einem Arbeitnehmer Lohnbestandteile vorenthält, die Mindeststrafe nur einmal bezahlt. „Das sichert, dass die Strafen im Verhältnis zum durch das Lohndumping erzielten Profit stehen und eine entsprechende Abschreckung erzielen“, erklärt Klein. 

Allerdings hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2019 in einem Fall, in dem viele ArbeitnehmerInnen ohne Lohnunterlagen (die die behördliche Kontrolle erst ermöglichen) nach Österreich entsandt wurden, die durch die Kumulierung erreichbare Strafhöhe als zu starke Einschränkung der Binnenmarktfreiheiten empfunden. Diese EuGH-Entscheidung hat aber schwerwiegende Folgen. Zum Teil kommt das Kumulationsprinzip nicht mehr zur Anwendung, zum Teil scheuen die Behörden vor der konsequenten Anwendung des Kumulationsprinzips bei Lohn- und Sozialdumping zurück. Damit besteht die Gefahr, dass Unternehmen, die systematisch unterentlohnen, die Strafen einfach aus der Portokasse zahlen.

Schutz der Regeln für Leiharbeit vor Umgehung durch Werkvertrag 

Ein zweiter Teil dieses Schutzwalls ist das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG). Dieses dient zum Schutz von LeiharbeiterInnen. Geregelt sind etwa eine faire Entlohnung, dass der Beschäftigerbetrieb zum Schutz der Gesundheit am Arbeitsplatz verpflichtet ist und dass eine Vertretung durch den Betriebsrat des Beschäftigerbetriebs gegeben ist. Allerdings könnten diese Schutznormen umgangen werden. Und zwar indem statt eines Vertrags über Leiharbeit ein Werkvertrag abgeschlossen wird.

„Wir erinnern uns alle an die deutschen Schlachthöfe, die sich von osteuropäischen Firmen nicht Leiharbeiter, sondern „Werkvertragler“ schicken ließen. Schlechte Arbeits- und Wohnbedingungen hatten dann große Corona-Cluster zu Folge“, führt der AK Direktor ein plakatives Beispiel an und ergänzt: „Juristisch funktioniert das so: Statt des Auftrags für Leiharbeit wird etwa das Werk „Zerlegen von Rinderhälften“ vergeben.“ Um solche Praktiken zu vermeiden, enthält das österreichische Gesetz eine sehr breite Definition von Leiharbeit. Diese stellt sicher, dass auch diese ArbeitnehmerInnen als Leiharbeitskräfte gelten und durch das AÜG geschützt sind. 

Der EuGH dagegen hat für die grenzüberschreitende Entsendung von LeiharbeiterInnen eine engere Definition festgelegt. Auch das hat hierzulande Folgen: Der österreichische Verwaltungsgerichtshof (VwGH) wendet die österreichische Definition nicht mehr an. Dagegen hält der Oberste Gerichtshof (OGH) daran fest.

Dazu Klein: „Daraus könnte sich in der Praxis folgendes Problem ergeben: Ein Betrieb holt sich unter dem Mantel einer Beauftragung mit dem Werk „Verpacken von Schutzmasken“ LeiharbeiterInnen. Die Beschäftigten werden laut Arbeitgeber „angemessen“ entlohnt, aber unter dem Kollektivvertrag für LeiharbeiterInnen. Wenden sich die Betroffenen an Gewerkschaft oder AK, um den KV-Lohn einzuklagen, werden diese vor dem Arbeits- und Sozialgericht, weil Instanzenzug zum OGH, Recht bekommen. Kontrolliert hingegen die Finanzpolizei und zeigt wegen Lohndumping an, was ja auch dem Schutz von korrekt zahlenden Konkurrenzunternehmen dient, kann die Behörde, weil Instanzenzug zum VwGH, nicht strafen.“   

Beispiel eines Arbeitnehmers bei Hygiene Austria

Besagter Arbeitnehmer hat von 6.5.2020 bis 18.2.2021 für die Hygiene Austria Masken verpackt. Der Kollektivvertrag für Arbeitskräfteüberlasser sieht einen Stundenlohn von 10,39 Euro vor. Daraus ergibt sich ein Monatslohn von 1.732,06 Euro (10,39 x 38,5 x 4,33).  

Der Arbeitnehmer hat beispielsweise für den Monat Dezember 2020 folgende offene Ansprüche:  

  Anspruch Erhalten Differenz
Lohn 1732,06 Euro 1369,78 Euro 362,28 Euro

Feiertagsarbeitsentgelt
3 Feiertage

233,78 Euro 0 233,78 Euro

Nachtschichtzulage 30 % = 3,12 Euro 

32,76 Euro
(10,5 Stunden)

0  32,76 Euro
Offener Anspruch     628,82 Euro

Durch die unterkollektivvertragliche Entlohnung entsteht im vorliegenden Fall eine Differenz von mehr als 600 Euro pro Monat, insgesamt wurden dem Arbeitnehmer über die Monate 11.000 Euro Lohn vorenthalten. Dies ist aber nur ein Fall von vielen. Umgelegt auf die gesamte Belegschaft führt dies zu einem Betrag, der in die Hunderttausende Euros geht!

Unsere Forderungen

Die AK fordert daher den Gesetzgeber auf, den Schutzwall gegen Schwarzarbeit und Ausbeutung wieder lückenlos zu schließen. 

Konkret fordert die AK folgende drei gesetzliche Maßnahmen:

  • Aufrechterhaltung des Kumulationsprinzips. Das Kumulationsprinzip muss (unter Berücksichtigung der EuGH-Judikatur) repariert werden. Denn die Regeln, die ArbeitnehmerInnen vor Ausbeutung und korrekt handelnde Betriebe vor Schmutzkonkurrenz schützen, müssen wieder funktionieren. Dabei muss der Grundsatz – Strafe wächst mit der Anzahl der betroffenen Beschäftigten – erhalten bleiben! Der jeweiligen Behörde soll aber je nach Schwere des Delikts ein Milderungsrecht eingeräumt werden. Klar muss aber sein: Der wirtschaftliche Vorteil aus der Unterentlohnung muss abgeschöpft werden.

  • Klarstellung bei der Arbeitskräfteüberlassung. Der Schutz von LeiharbeiterInnen vor Ausbeutung als „Werkvertragler“ nach dem Muster der deutschen Schlachthöfe und damit auch der Schutz der seriösen österreichischen Unternehmen muss erhalten bleiben. Der Gesetzgeber soll klarstellen, dass die österreichische Definition der Arbeitskräfteüberlassung weiterhin Anwendung findet.

  • Generalunternehmerhaftung für Löhne. Während es im Sozialversicherungsrecht für die Baubranche eine gut funktionierende Haftung des Auftraggebers für Sozialversicherungsbeiträge gibt, gibt es eine solche für Löhne de facto nicht. Die AK fordert daher eine Generalunternehmerhaftung für Löhne, also eine echte Kettenhaftung, die an der Spitze ansetzt. „Der Hauptauftraggeber haftet also für die gesamte Subunternehmerkette“, erläutert AK Direktor Klein.

Fazit laut Klein: „Gäbe es diese Generalunternehmerhaftung, würden sich Unternehmer wohl in Zukunft genauer ansehen, an wen sie tatsächlich ihre Aufträge vergeben. Und Beschäftigte – und genau genommen die Steuer- und BeitragszahlerInnen – würden nicht länger im Windschatten wohlklingender Firmenschilder ausgebeutet.“

Schließlich gehört auch der Vollzug näher ins Auge gefasst:

  • Problem der Verjährung. Viele Verfahren werden aktuell aufgrund von Ablauf von Verjährungsfristen eingestellt. „Leider kommen so betrügerische Unternehmen ungestraft davon“, beklagt Klein. Es braucht mehr Transparenz in den Verfahren. Die Bundesregierung ist aufgefordert, eine Statistik oder Datenbank einzurichten, die deutlich macht, ob und inwieweit die Verfolgung der systematischen Schwarzbeschäftigung funktioniert.

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