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Menschen mit einer anderen Staatsangehörigkeit als der österreichischen werden oft diskriminiert. In der Arbeitswelt verdienen sie bis zu 22 Prozent weniger als ÖsterreicherInnen. Dabei arbeiten unsere KollegInnen besonders oft in systemrelevanten Branchen wie Reinigung, Pflege, Einzelhandel oder Zustelldienst. Sie sorgen für den wirtschaftlichen Erfolg Österreichs - ohne sie geht nichts mehr.
KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten als der österreichischen stellen mittlerweile ein Fünftel aller Arbeitskräfte in Österreich, in vielen systemrelevanten Berufen sind es noch mehr. Sie tragen damit maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg des Landes bei und dazu, das Land während der Coronakrise am Laufen zu halten.
Die KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten sind gleichzeitig auf vielen Ebenen benachteiligt. Sie sind die ersten, an denen Verschlechterungen für alle ArbeitnehmerInnen „ausprobiert“ werden: Nicht-Einhaltung von Arbeitsrecht, erhöhter Druck in der Arbeit, 12-Stunden-Tag, Leiharbeit, Lohndrückerei und Sozialbetrug.
AK Präsidentin Renate Anderl sagt: „Ich bin stolz in einem Land der Vielfalt zu leben. Aber diese Vielfalt braucht auch Rechte. Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt: Ohne die KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten läuft unser Land nicht! Für die Wirtschaft und den Sozialstaat ist die Leistung der Kolleginnen und Kollegen mit anderen Staatsangehörigkeiten schon lange unverzichtbar. Ihre Arbeit verdient Respekt. Als AK fordern wir Gerechtigkeit für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, unabhängig von der Herkunft. Die AK ist für alle ArbeitnehmerInnen da, egal woher sie kommen. Das ist unser gesetzlicher Auftrag.“
Die umfassende SORA-Studie „KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten als der österreichischen am österreichischen und Wiener Arbeitsmarkt – Zwischen Systemrelevanz und Exklusion: Erwerbssituation, Arbeitszufriedenheit und Diskriminierung in der Arbeit“ basiert auf Auswertungen von Sekundärdaten u.a. der Sozialversicherungsträger, Statistik Austria und des Arbeitsklima Index sowie der SORA-Studie „Diskriminierungserfahrungen in Österreich“.
KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten stellen mittlerweile ein Fünftel aller Arbeitskräfte in Österreich und tragen so maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg des Landes bei. In Wien sind es 29 Prozent. Ein guter Teil wurde in Österreich geboren oder lebt bereits Jahre bis Jahrzehnte im Land. Der Bezug zu Österreich ist oft viel stärker ausgeprägt als der Bezug zum Land der Staatsangehörigkeit.
Die größte Gruppe bilden ArbeitnehmerInnen mit einer Staatsangehörigkeit aus den Bosnisch-, Kroatisch- oder Serbisch-sprachigen Ländern, gefolgt von ArbeitnehmerInnen mit deutscher, ungarischer und rumänischer Staatsangehörigkeit.
Deutschland | 107.000 |
Ungarn | 93.000 |
Rumänien | 65.000 |
Türkei | 58.000 |
Bosnien-H. | 50.000 |
Polen | 42.000 |
Kroatien | 41.000 |
ehem. Jugosl. | 40.000 |
Slowakei | 36.000 |
Serbien | 32.000 |
Slowenien | 26.000 |
Durchschnittsalter der KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten ist 35 Jahre. Das ist um neun Jahre jünger als das Durchschnittsalter derer mit österreichischer Staatsangehörigkeit. Sie weisen häufiger einen Hochschulabschluss sowie einen Pflichtschulabschluss auf.
Die Corona-Pandemie hat die enorme Bedeutung der ArbeitskollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten gezeigt. Ohne sie hätte die gute Versorgung mit Lebensmitteln, die Produktion, die Pflege kranker und alter Menschen, die Reinigung von Büros, Verkaufsflächen, Krankenhäusern oder die rasche Zustellung von Paketen nicht funktioniert.
In Reinigung, Pflege und Handel bilden Frauen mit anderen Staatsangehörigkeiten die Mehrheit, in den Paket- und Zustelldiensten arbeiten überwiegend Männer.
Die Arbeitsplätze von KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten sind durch ein hohes Ausmaß an Druck gekennzeichnet: ArbeitgeberInnen verfolgen häufiger das Prinzip Hire and Fire, zahlen unterdurchschnittliche Einkommen, muten eine größere Arbeitslast zu und kümmern sich weniger um die Beseitigung ungesunder Arbeitsbedingungen. Dazu ist das gesellschaftliche Ansehen der Berufe geringer. ArbeitgeberInnen nützen die benachteiligte Position dieser KollegInnen aus, um Verschlechterungen auszuprobieren, die sie dann schrittweise auf alle KollegInnen ausweiten wollen.
25 Prozent der KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten stufen ihren Arbeitsplatz als unsicher ein, gegenüber 13 Prozent ihrer KollegInnen mit österreichischer Staatsangehörigkeit. Sie sind auch mehr als doppelt so oft von Leiharbeit betroffen (5 gegenüber 2 Prozent).
KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten sind häufiger vom „Drehtüreffekt“ betroffen: Sie sind die ersten, die bei einem Abschwung ihre Arbeit verlieren. Hinzu kommt, dass in manchen Branchen, wo schon vor der Corona-Pandemie das Prinzip Hire and Fire geherrscht hat, ArbeitgeberInnen ihren Bedarf mit Arbeitskräften mit anderen Staatsangehörigkeiten gedeckt haben.
Die vergleichsweise geringe Jobsicherheit, der die KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten ausgesetzt sind, wird auch deutlich an den Arbeitslosenzahlen im ersten Halbjahr 2021: Während die Arbeitslosenquote bei ArbeitnehmerInnen mit österreichischer Staatsangehörigkeit bei 7,7 Prozent lag, lag sie bei den KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten bei 13,9 Prozent.
In allen Branchen zahlen Arbeitgeber den KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten als der österreichischen weniger. Das zeigt bereits eine Studie des IHS aus dem Jahr 2018. Daten des Arbeitsklimaindex der AK Oberösterreich aus dem Zeitraum 2017 bis 2021 zeigen sogar, dass das Geld manchmal nicht zum Leben reicht: Das ist bei 6 Prozent aller Arbeitskräfte mit österreichischer Staatsangehörigkeit der Fall und bei mehr als doppelt so vielen ihrer KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten.
Ursache ist, dass sie häufiger in Branchen Arbeit finden, in denen ArbeitgeberInnen teils systematisch mit Lohn- und Sozialbetrug arbeiten, allen voran die Bauwirtschaft. Unternehmen dieser Branchen haben die Ausnutzung der gesellschaftlich und rechtlich unsichereren Position der KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten als der österreichischen praktisch zum Geschäftsmodell erhoben.
23 Prozent aller Arbeitskräfte mit österreichischer Staatsangehörigkeit sieht sich in der Arbeit großem Zeitdruck ausgesetzt. Bei ihren KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten ist das mit 29 Prozent noch höher.
Ein Fünftel der ArbeitnehmerInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten als der österreichischen ist von ungesunden Arbeitsbedingungen betroffen. Also doppelt so oft, wie ihre KollegInnen mit österreichischer Staatsangehörigkeit (10 Prozent). Besonders stark sind davon Männer mit anderen Staatsangehörigkeiten als der österreichischen betroffen. 26 Prozent arbeiten unter schlechten Gesundheitsbedingungen.
Die Unfall- und Verletzungsgefahr bei der Arbeit der KollegInnen mit anderen Staatsbürgerschaften als der österreichischen ist mit 15 Prozent um die Hälfte höher als die der KollegInnen mit österreichischer Staatsangehörigkeit (10 Prozent).
„In meinem Unternehmen zählt der Mensch weniger als der Gewinn“, sagt schon ein Drittel der KollegInnen mit österreichischer Staatsangehörigkeit und sogar doppelt so viele ihrer KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten.
Das Miteinander unter den KollegInnen funktioniert ungefähr gleich gut, unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Weniger zufrieden sind alle ArbeitnehmerInnen mit dem Führungsstil ihrer Vorgesetzten.
Alarmierend ist, dass ein Fünftel der KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten als der österreichischen angeben, dass das Arbeitsrecht nicht eingehalten wird. Auch hier ist der Anteil doppelt so hoch, wie bei ArbeitnehmerInnen mit österreichischer Staatsangehörigkeit.
KollegInnen mit | österreichischer | nicht-österreichischer Staatsangehörigkeit |
---|---|---|
Gewinne wichtiger als MitarbeiterInnen | 33% | 57% |
Zufrieden mit der Führungskraft | 69% | 66% |
Zufrieden mit den KollegInnen | 85% | 80% |
Arbeit wird von KollegInnen nicht geschätzt | 5% | 20% |
Arbeit wird von Vorgesetzten nicht geschätzt | 12% | 25% |
Arbeitsrecht wird nicht eingehalten | 10% | 20% |
Betriebsrat vorhanden | 53% | 49% |
KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten als der österreichischen sind weniger zufrieden mit den Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung und den Aufstiegs- und Entwicklungschancen im Betrieb.
Zufriedenheit der KollegInnen mit | österreichischer | anderen Staatsangehörigkeiten |
---|---|---|
Beruflicher Weiterbildung | 61% | 46% |
Aufstiegs-, Entwicklungschancen | 53% | 40% |
AK Präsidentin Renate Anderl: „Ich bin stolz in einem Land der Vielfalt zu leben. Aber diese Vielfalt braucht auch Rechte. KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten als der österreichischen sind ein unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft. Viele von ihnen tragen uns durch die Krise hindurch. Sie verdienen Respekt, gerechte Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen – unabhängig von ihrer Herkunft. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt: Ohne die KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten geht es nicht!“ Die AK fordert:
Erleichterungen bei der Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse
Viele der zugewanderten Menschen arbeiten im geringqualifizierten Niedriglohnbereich, und das oftmals mit hohen aus dem Ausland mitgebrachten Bildungsabschlüssen. Der Zugang zu Anerkennungs- und Nostrifikationsverfahren muss erleichtert, verkürzt und kostengünstig möglich sein. Das bestehende Anerkennungsgesetz ist eine Mogelpackung und leistet nicht das, was die Bezeichnung nahelegt.
Schon der Befund des IHS zeigt, dass ArbeitgeberInnen ArbeitnehmerInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten als der österreichischen quer über alle Branchen für die gleiche Arbeit weniger bezahlen. Die Vermutung liegt nahe, dass die KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten ebenso wie Frauen in vielen Fällen einer gesetzeswidrigen Diskriminierung beim Einkommen ausgesetzt sind.
Die Gesetzgeberin soll hier endlich wirksame Maßnahmen zur Einhaltung des Gleichbehandlungsgesetzes vorlegen und eine volle Lohntransparenz innerhalb des Betriebs schaffen. Eine entsprechende EU-Richtlinie ist ohnehin bereits in Ausarbeitung. Österreich muss in dieser Frage nicht bei den Letzten sein, sondern kann eine Vorreiterrolle einnehmen.
KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten geben alarmierend oft an, dass Arbeitsrecht in ihrem Betrieb nicht eingehalten wird. Die Erfahrung aus der AK Arbeitsrechtsberatung zeigt, dass dort häufig Mehr- und Überstunden nicht ausbezahlt werden.
Derzeit muss der Arbeitgeber nur das nachzahlen, was er sowieso zahlen hätte müssen - das bedeutet es gibt kein Risiko bei der Rechtsverletzung. Künftig soll er das Doppelte zahlen müssen.
Überdurchschnittlich viele KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten sind LeiharbeiterInnen. Nach sechs Monaten der Überlassung sollen LeiharbeiterInnen in den Stammbetrieb übernommen werden. Viele arbeiten oft jahrelang beim selben Unternehmen ohne Teil der Stammbelegschaft zu sein. Dadurch gelingt das Ankommen im Betrieb schlecht, Mitbestimmung ist fast unmöglich, Bildungschancen bleiben liegen.
In vielen Branchen mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten haben Unternehmen die schwächere Stellung der ArbeitnehmerInnen zum Geschäftsmodell erhoben: Sie lassen sie überlang arbeiten, drücken Löhne und Sozialbeiträge bis hin zu regelrechtem Betrug.
Diese Praxis hat sich vom Bau auf weitere Branchen ausgebreitet. Die Strafen wurden jedoch nicht verschärft, sondern sogar gemildert: Die Abschaffung des Kumulationsprinzips, nachdem für jeden von Lohndumping betroffenen Arbeitnehmer oder jede betroffene Arbeitnehmerin eine Strafe vorgesehen war, wirkt wie eine Betrugspauschale: Egal, wie viele KollegInnen ein Unternehmen hintergeht, der Strafrahmen bleibt gleich niedrig.
Während es im Sozialversicherungsrecht für die Baubranche eine gut funktionierende Haftung des Auftraggebers für Sozialversicherungsbeiträge gibt, gibt es eine solche für Löhne de facto nicht.
Die AK fordert daher eine Generalunternehmerhaftung für Löhne, also eine echte Kettenhaftung, die an der Spitze ansetzt. Der Hauptauftraggeber haftet also für die gesamte Subunternehmerkette und kann nicht davon profitieren, dass er Aufträge an unseriöse Unternehmen weitergibt.
KollegInnen mit anderen Staatsangehörigkeiten als der österreichischen haben überdurchschnittlich oft ungesunde Arbeitsbedingungen. Das Personal bei den Arbeitsinspektoraten gehört daher zumindest auf das von der Internationalen Arbeitsorganisation verlangte Mindestmaß aufgestockt. Das Prinzip „Beraten statt Strafen“ darf nicht dazu führen, dass trotz wiederholter Verstöße Strafen einfach ausbleiben.
Branchenspezifisch sollte die Arbeitszeit von Reinigungskräften von den Randzeiten auf die Tagesarbeitszeit verlagert werden. Damit gibt es durchgängige statt zerstückelte Arbeitszeiten (sogenannte geteilte Dienste), die familienfreundlicher und gesünder sind und bessere Chancen auf existenzsichernde Einkommen ermöglichen.
In der Pflege braucht es verlässliche Arbeitszeiten und ausreichend Zeit für die Pflegearbeit, für Supervision und Weiterbildung. Das geht nur, wenn grundsätzlich mit mehr Personal gearbeitet wird.
KollegInnen, die sich dafür entscheiden dauerhaft in Österreich zu bleiben, kommen immer schwerer zu einer österreichischen Staatsbürgerschaft – und damit zum Wahlrecht. Angesichts des hohen Anteils der KollegInnen mit anderer Staatsangehörigkeit als der österreichischen sind Verbesserungen notwendig.
Der systematische Ausschluss von immer größeren Teilen der arbeitenden Bevölkerung vom Wahlrecht erinnert an das Klassenwahlrecht der Monarchie bis 1907: Ein Fünftel der ArbeitnehmerInnen Österreichs darf grundsätzlich nicht an Wahlen zum Nationalrat und zu den Landtagen teilnehmen.
Die Stimme der ArbeitnehmerInnen hat damit im Nationalrat nicht das Gewicht, das ihrem Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg, der Bedeutung ihrer Leistungen und ihrer sozialen Interessen im Land ihres Lebensmittelpunkts entspricht. AK Präsidentin Renate Anderl: „Ich fordere einen gerechten Zugang der Kolleg:innen zur österreichischen Staatsbürgerschaft.“
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